Aus dem Sanella-Album Australien Neuseeland

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Seite 10

Wir reiten, was das Zeug hält, und in wenigen Augenblicken sind wir alle vier vorn. Dabei drücken wir - hintereinander reitend und laut schreiend - die Spitze der Herde allmählich zur Seite ab, immer weiter und weiter! Die Herde zieht sich auseinander, bildet einen Bogen, schließlich einen Halbkreis und dann - haben wir es geschafft! Die Leitstiere erreichen das Ende der Herde - die ganze Meute jagt in einem Kreis herum! Aus dem wilden Galopp fallen die Tiere in Trapp, und schließlich steht der ganze Haufen - keuchend, mit schäumenden Mäulern und nassen Flanken! Auch unsere Pferde und wir sind in Schweiß gebadet. Die Gesichter sind schmutzig und verklebt. Eine ganze Weile spricht keiner. Und dann beginnt Bill auf einmal sein verrücktes Cowboylied, und wir alle lachen und jodeln mit! Die Rinder gucken uns an und brummen ... Ja, das kann passieren, wenn das Vieh durstig ist und Wasser wittert. Die Rinder spüren sehr schnell, ob Wasser in der Nähe oder Regen zu erwarten ist. Und auch an diesem Tage behielten sie recht, denn einige Stunden später kam Wind auf, der Himmel bezog sich, und es begann wie mit Kübeln zu gießen - die letzten Atemzüge des Monsuns! Die Tränke, die wir am Abend erreichten, stand hoch voll Wasser, und ringsherum war der Boden schlammig weich. Manchmal treiben wir zwei, drei Tage durch flaches Savannenland. Dann geht es wieder durch dichtbewaldete Täler oder durch einen mit Geröll oder Wasser gefüllten Creek - das sind breite Bodenrinnen, in denen sich während der Regenzeit Wasser sammelt. In der übrigen Zeit des Jahres sind die Creeks ausgetrocknet. Je näher wir an Wyndham herankommen, um so dichter wird der Wald und um so höher das Gras. Von den Rindern sieht man nur die schaukelnden Rücken und die vorgereckten Köpfe. Die Sonne steht schon tief.

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Es wird Zeit, das Lager aufzuschlagen. Bei einigen Pandanusbäumen halten wir die Pferde an. Wangoo, einer der beiden eingeborenen Treiber, sitzt ab. Hoppla! Er macht einen gewaltigen Luftsprung und beginnt wild zu fluchen und herumzutrampeln. Von seinem Kauderwelsch ist nicht viel zu verstehen; aber daß er wütend ist, können wir sehen. "Schlangen", brummt Bill und runzelt die Stirn. "Schlangen gibt's hier wie Sand am Meer. Und die meisten sind giftig. Aber es hat keinen Zweck, weiterzutreiben, denn das ist hier überall das gleiche." Sorgfältig suchen wir die Umgebung des Lagers ab. Drei ausgewachsene Schwarzschlangen, die sehr giftig sind, können wir erlegen. Ein paar andere huschen in das Akaziengestrüpp. Schließlich ist der Hügel unter den Bäumen abgesucht. Das Lagerfeuer brennt. Da packt mich plötzlich Bill an der Schulter und reißt mich zurück. Ich fliege zur Seite und will gerade anfangen zu schimpfen, als ich sehe, wie Bill mit dem Peitschenstock au den Boden hämmert. Eine 11/2 Meter lange Baumschlange krümmt sich in wilden Zuckungen. Ein Fußtritt befördert sie ins Feuer.

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Ich bin wohl doch etwas blaß geworden, denn Bill nickt mir lachend zu. "Ja, jetzt werden wir wohl auch noch die Bäume absuchen müssen", meint er. "Ich sah, wie das Biest sich von dem Ast abringelte, unter dem du standst. Und wenn du auf deinem Platz geblieben wärst, hättest du das liebe Tierchen auf den Kopf bekommen!" Der Feuerschein geistert über die hellen Wurzeln des Pandanus des Schraubenbaumes. Diese seltsamen Bäume sehen aus wie Palmen, die auf Stelzen stehen. Das sind Luftwurzeln, die bis zu einem Meter aus der Erde ragen. Er heißt Schraubenbaum, weil die großen schwertförmigen Blätter der Krone wie das Gewinde einer Schraube um den Stamm herumwachsen. Die Früchte kann man essen, und aus den Blättern flechten die Eingeborenen Matten. Einige Tage später erreichen wir Wyndham, eine kleine, trostlose Stadt an der Küste mit wenigen tausend Einwohnern. Die meisten davon sind Farbige, denn für Weiße ist es zu warm und zu feucht. Aber für die Viehzüchter Nord= und Westaustraliens ist Wyndham wichtig wegen seines modernen, nach amerikanischem Vorbild eingerichteten Schlachthauses. Auch unsere Rinder liefern wir dort ab.

Mangroven, Moskitos und Bills Schienbein

Wyndham liegt am äußersten Ende des Cambridge=Golfs, einer langgezogenen Bucht mit vielen kleinen mit Mangrovengestrüpp bewachsenen Inseln. Ich möchte gern einmal eine dieser lianenverfilzten Inseln kennenlernen; aber Bill rät ab. "Laß das sein, Jim", meint er "Du kommst da nicht an Land. Wenn dich nicht überhaupt vorher die Moskitos und Krokodile auffressen!" Bill ist eine alte Unke. Jetzt erst recht - ich werde es ihm schon zeigen, daß ich dort drüben an Land komme! Vom Schlachthaus leihe ich mir ein kleines Motorboot und fahre los. Bill sieht mir vom Landungssteg aus nach. Plötzlich beginnt er mit den Armen in der Luft herumzufuchteln und zu rufen. Ich wende und fahre zurück. Bevor ich fragen kann, was los sei, spring er schon in das noch fahrende Boot. "Ich kann dich Lausejunge ja nicht allein mitten zwischen die Krokodile schwimmen lassen!" grunzt er nur und gurgelt mit der Pfeife.

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